Auch 20 Jahre nach seinem Tod wird die Hinrichtung des rumänischen Diktators Ceausescu kontrovers diskutiert. Einige Kritiker sprechen von Lynchjustiz, andere vermuten hinter der Aktion ein Vertuschungsmanöver der zweiten Reihe der Partei. Damals war das Todesurteil eine konsequente Maßnahme
Knapp ein Vierteljahrhundert hat Nicolae Ceausescu die Rumänen gedemütigt, gequält und terrorisiert. Er hat eines der schönsten und nach Bodenschätzen reichsten Länder Europas in ein hässliches Armenhaus verwandelt – und sich selbst als größten Rumänen aller Zeiten gefeiert.
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Die Rumänen verdrängen ihre Revolution von 1989 Die Menschen sind die Helden des November ’89 Wie sich die DDR-Grenzer beim Mauerfall fühlten 40 Jahre Zensur – „Hände hoch oder ich schieße” „Ceausescus Tod stand vor dem Prozess fest” Wie die DDR zur Bananenrepublik wurde Die Ost-Seele braucht mehr Streicheleinheiten
Ceausescu hat mit der eisernen Hand des Geheimdienstes Securitate das Schicksal von Millionen Menschen kontrolliert, hat sie verhungern und frieren lassen, seine Kritiker ins Exil verbannt, ins Gefängnis geworfen oder liquidiert. Er hat Städte und Dörfer niedergewalzt, die Kultur vernichtet, die Wirtschaft zerstört, die Sprache vergewaltigt. Er hat alle Regeln, die eine Gesellschaft zusammenhalten, durch Diktate und absurde „Direktiven” ersetzt. Der Alleinherrscher Nicolae Ceausescu steht für das dunkelste Kapitel in der Geschichte des modernen Rumäniens.
In den 80er-Jahren war das rumänische Volk am Ende seiner Kräfte. Ceausescu hatte das Land zwar schuldenfrei gemacht, der Preis, der von den Menschen gezahlt wurde, war aber enorm. Die Grundlebensmittel wurden rationiert, das TV-Programm auf zwei Stunden Personenkult reduziert, Strom und Wasser nur noch stundenweise geliefert. Auch außenpolitisch hatte sich Rumänien völlig isoliert und galt als zweites Albanien.
Entsprechend verzweifelt war die Stimmung im Land. Obwohl 1989 die kommunistischen Regime eins nach dem anderen kollabierten, gab es keine Hoffnung auf eine politische Wende. Ein beliebter Spruch aus der Zeit gibt den Selbst-Zynismus und den Galgenhumor der Rumänen wider: „Die Polenta (das rumänische Nationalgericht) blubbert und brodelt – aber sie explodiert nicht”.
Im Dezember passierte dann genau das, was die Rumänen sich selbst lange Jahre nicht zugetraut hatten: Der Polenta-Topf ging mit einem Riesenknall in die Luft. Am Ende haben die Rumänen mit eigener Kraft ihre Freiheit erkämpft und den Tyrannen hingerichtet. Eine Alternative zu dieser extremen – aber richtigen – Maßnahme gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Nicolae Ceausescu hätte nie freiwillig und friedlich auf seine uneingeschränkte Macht verzichtet. Der Schießbefehl für Temesvar und die Entscheidung, das Militär gegen die Demonstranten in Bukarest einzusetzen, beweisen das. Der paranoide Ceausescu war fest entschlossen nach den ersten Tumulten, gegen „Hooligans” und „westliche Spione” mit aller Härte vorzugehen. Die Armee und der Geheimdienst hätten ihn dabei unterstützt. Das Risiko, dass Ceausescu oder seine engsten Mitarbeiter loyale Truppen mobilisieren und die Revolution doch noch niederschlagen würden, war im Dezember 89 – zumindest gefühlt – extrem groß. Nur der Tod des Tyrannen war in den Stunden des Aufstands das sichere Zeichen dafür , dass die kommunistische Herrschaft endgültig zu Ende war.
Kritiker wenden ein, dass Ceausescu ein Schauprozess gemacht wurde und er keine Chance gehabt habe, das Urteil anzufechten und dem Tod zu entkommen. Rein juristisch gesehen ist das Argument richtig. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass Ceausescus Prozess und sein Tod per Akklamation gefordert wurden. Millionen Rumänen waren auf die Straße gegangen, wo sie unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Freiheit forderten: „Ceausescu condamnat pentru singele varsat!” („Verurteilt Ceausescu für das vergossene Blut!”). Stundenlang, bis tief in die Nacht, warteten die Menschen vor dem Fernseher auf die Meldung, dass Ceausescu für seine Gräueltaten bestraft wurde. Heute, 20 Jahre später, klingt das nach Lynchjustiz. Damals kam es einem Wunder, einer Sternstunde der Geschichte gleich und fühlte sich wie ein großer Gerechtigkeitsakt an. Das Volk hatte von seinem Widerstandsrecht gebraucht gemacht.
Hätte Ceausescu nicht einen fairen Prozess verdient? Wer diese Frage aufwirft, verliert aus den Augen, dass sich Rumänien in den Tagen der Revolution im absoluten Ausnahmezustand befand. In den Städten gab es zum Teil bürgerkriegsähnliche Verhältnisse: Es wurde scharf geschossen, die Betriebe wurden bestreikt, die Institutionen kollabierten. Es herrschten überall Chaos und Angst. Das Leben spielte sich nur noch bei Demonstrationen auf den Straßen und Plätzen ab – und vor dem Fernseher, wo die Revolution zum Teil live übertragen wurde. Ein normaler Prozess wäre unter diesen Umständen nicht möglich gewesen. Es musste schnell gehandelt werden.
20 Jahre nach der Hinrichtung Ceausescus blicken die Rumänen mit gemischten Gefühlen auf den Dezember 1989. Viele sprechen von zwei Revolutionen: die des Volkes, der Millionen Menschen, die für ihre Freiheit auf die Straße gingen. Und die „Palastrevolution”, bei der altgediente Kommunisten und Geheimdienstler die politischen Macht ergriffen haben. Im Ceausescu-Prozess treffen sich diese beiden historischen Momente. Die Rumänen wollten den Diktator loswerden, um ihr Schicksal wieder selbst über demokratischen Institutionen bestimmen zu können. („Demokratie” war eine der wichtigsten Forderungen.) Und auch die neuen Machthaber, viele davon lange Jahre Teil des kriminellen Systems, wollten in ihrem eigenen Interesse, mit Ceausescu den wichtigsten Zeugen der kommunistischen Diktatur beseitigen.
Ein richtiger Prozess gegen Nicolae und Elena Ceausescu ist eine faszinierende Illusion. Man stellt sich vor, alle Details über das Diktatorenpaar, die Partei und ihre Kader, die Securitate und das kommunistische Vermögen zu erfahren. Die Aufarbeitung der Geschichte Rumäniens würde eine ganz andere Dimension annehmen. Und einige Alt-Nomenklaturisten, die immer noch wichtige politische Funktionen haben, müssten womöglich ihre Posten räumen. All das ist nicht mehr realisierbar und in gewisser Weise auch sehr bedauerlich. Wenn es aber am 25. Dezember 1989 noch ein Restrisiko gab, dass Ceausescu an die Macht zurückkehrt, dann war es richtig, kurzen Prozess zu machen.
––––
Wolfgang Scheida stammt aus Rumänien und hat die Revolution in Kronstadt (Brasov) erlebt.

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Tyrannenmord an Ceausescu war ohne Alternative

Auch 20 Jahre nach seinem Tod wird die Hinrichtung des rumänischen Diktators Ceausescu kontrovers diskutiert. Einige Kritiker sprechen von Lynchjustiz, andere vermuten hinter der Aktion ein Vertuschungsmanöver der zweiten Reihe der Partei. Damals war das Todesurteil eine konsequente Maßnahme
Knapp ein Vierteljahrhundert hat Nicolae Ceausescu die Rumänen gedemütigt, gequält und terrorisiert. Er hat eines der schönsten und nach Bodenschätzen reichsten Länder Europas in ein hässliches Armenhaus verwandelt – und sich selbst als größten Rumänen aller Zeiten gefeiert.
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Die Rumänen verdrängen ihre Revolution von 1989 Die Menschen sind die Helden des November ’89 Wie sich die DDR-Grenzer beim Mauerfall fühlten 40 Jahre Zensur – „Hände hoch oder ich schieße” „Ceausescus Tod stand vor dem Prozess fest” Wie die DDR zur Bananenrepublik wurde Die Ost-Seele braucht mehr Streicheleinheiten
Ceausescu hat mit der eisernen Hand des Geheimdienstes Securitate das Schicksal von Millionen Menschen kontrolliert, hat sie verhungern und frieren lassen, seine Kritiker ins Exil verbannt, ins Gefängnis geworfen oder liquidiert. Er hat Städte und Dörfer niedergewalzt, die Kultur vernichtet, die Wirtschaft zerstört, die Sprache vergewaltigt. Er hat alle Regeln, die eine Gesellschaft zusammenhalten, durch Diktate und absurde „Direktiven” ersetzt. Der Alleinherrscher Nicolae Ceausescu steht für das dunkelste Kapitel in der Geschichte des modernen Rumäniens.
In den 80er-Jahren war das rumänische Volk am Ende seiner Kräfte. Ceausescu hatte das Land zwar schuldenfrei gemacht, der Preis, der von den Menschen gezahlt wurde, war aber enorm. Die Grundlebensmittel wurden rationiert, das TV-Programm auf zwei Stunden Personenkult reduziert, Strom und Wasser nur noch stundenweise geliefert. Auch außenpolitisch hatte sich Rumänien völlig isoliert und galt als zweites Albanien.
Entsprechend verzweifelt war die Stimmung im Land. Obwohl 1989 die kommunistischen Regime eins nach dem anderen kollabierten, gab es keine Hoffnung auf eine politische Wende. Ein beliebter Spruch aus der Zeit gibt den Selbst-Zynismus und den Galgenhumor der Rumänen wider: „Die Polenta (das rumänische Nationalgericht) blubbert und brodelt – aber sie explodiert nicht”.
Im Dezember passierte dann genau das, was die Rumänen sich selbst lange Jahre nicht zugetraut hatten: Der Polenta-Topf ging mit einem Riesenknall in die Luft. Am Ende haben die Rumänen mit eigener Kraft ihre Freiheit erkämpft und den Tyrannen hingerichtet. Eine Alternative zu dieser extremen – aber richtigen – Maßnahme gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Nicolae Ceausescu hätte nie freiwillig und friedlich auf seine uneingeschränkte Macht verzichtet. Der Schießbefehl für Temesvar und die Entscheidung, das Militär gegen die Demonstranten in Bukarest einzusetzen, beweisen das. Der paranoide Ceausescu war fest entschlossen nach den ersten Tumulten, gegen „Hooligans” und „westliche Spione” mit aller Härte vorzugehen. Die Armee und der Geheimdienst hätten ihn dabei unterstützt. Das Risiko, dass Ceausescu oder seine engsten Mitarbeiter loyale Truppen mobilisieren und die Revolution doch noch niederschlagen würden, war im Dezember 89 – zumindest gefühlt – extrem groß. Nur der Tod des Tyrannen war in den Stunden des Aufstands das sichere Zeichen dafür , dass die kommunistische Herrschaft endgültig zu Ende war.
Kritiker wenden ein, dass Ceausescu ein Schauprozess gemacht wurde und er keine Chance gehabt habe, das Urteil anzufechten und dem Tod zu entkommen. Rein juristisch gesehen ist das Argument richtig. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass Ceausescus Prozess und sein Tod per Akklamation gefordert wurden. Millionen Rumänen waren auf die Straße gegangen, wo sie unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Freiheit forderten: „Ceausescu condamnat pentru singele varsat!” („Verurteilt Ceausescu für das vergossene Blut!”). Stundenlang, bis tief in die Nacht, warteten die Menschen vor dem Fernseher auf die Meldung, dass Ceausescu für seine Gräueltaten bestraft wurde. Heute, 20 Jahre später, klingt das nach Lynchjustiz. Damals kam es einem Wunder, einer Sternstunde der Geschichte gleich und fühlte sich wie ein großer Gerechtigkeitsakt an. Das Volk hatte von seinem Widerstandsrecht gebraucht gemacht.
Hätte Ceausescu nicht einen fairen Prozess verdient? Wer diese Frage aufwirft, verliert aus den Augen, dass sich Rumänien in den Tagen der Revolution im absoluten Ausnahmezustand befand. In den Städten gab es zum Teil bürgerkriegsähnliche Verhältnisse: Es wurde scharf geschossen, die Betriebe wurden bestreikt, die Institutionen kollabierten. Es herrschten überall Chaos und Angst. Das Leben spielte sich nur noch bei Demonstrationen auf den Straßen und Plätzen ab – und vor dem Fernseher, wo die Revolution zum Teil live übertragen wurde. Ein normaler Prozess wäre unter diesen Umständen nicht möglich gewesen. Es musste schnell gehandelt werden.
20 Jahre nach der Hinrichtung Ceausescus blicken die Rumänen mit gemischten Gefühlen auf den Dezember 1989. Viele sprechen von zwei Revolutionen: die des Volkes, der Millionen Menschen, die für ihre Freiheit auf die Straße gingen. Und die „Palastrevolution”, bei der altgediente Kommunisten und Geheimdienstler die politischen Macht ergriffen haben. Im Ceausescu-Prozess treffen sich diese beiden historischen Momente. Die Rumänen wollten den Diktator loswerden, um ihr Schicksal wieder selbst über demokratischen Institutionen bestimmen zu können. („Demokratie” war eine der wichtigsten Forderungen.) Und auch die neuen Machthaber, viele davon lange Jahre Teil des kriminellen Systems, wollten in ihrem eigenen Interesse, mit Ceausescu den wichtigsten Zeugen der kommunistischen Diktatur beseitigen.
Ein richtiger Prozess gegen Nicolae und Elena Ceausescu ist eine faszinierende Illusion. Man stellt sich vor, alle Details über das Diktatorenpaar, die Partei und ihre Kader, die Securitate und das kommunistische Vermögen zu erfahren. Die Aufarbeitung der Geschichte Rumäniens würde eine ganz andere Dimension annehmen. Und einige Alt-Nomenklaturisten, die immer noch wichtige politische Funktionen haben, müssten womöglich ihre Posten räumen. All das ist nicht mehr realisierbar und in gewisser Weise auch sehr bedauerlich. Wenn es aber am 25. Dezember 1989 noch ein Restrisiko gab, dass Ceausescu an die Macht zurückkehrt, dann war es richtig, kurzen Prozess zu machen.
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Wolfgang Scheida stammt aus Rumänien und hat die Revolution in Kronstadt (Brasov) erlebt.

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Postat de pe data de 30 nov., 2009 in categoria România în lume. Poti urmari comentariile acestui articol prin RSS 2.0. Acest articol a fost vizualizat de 1,121 ori.

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