Europa hat die Wahl zwischen einer instabilen Währungsunion und einem Bundesstaat, sagt Finanzhistoriker Ferguson. Im Interview fordert er eine solide Haushaltspolitik.
© JEAN-PIERRE MULLER/AFP/Getty Images
Mit dem Rettungspaket habe die EZB den Weg zu einem schwachen Euro eingeschlagen, meint Finanzhistoriker Ferguson
Frage: Herr Ferguson, reicht das Rettungspaket der EU, um den Euro zu retten?
Niall Ferguson: Europas Staatschefs sind offenbar endlich aufgewacht und haben die große Gefahr für die Währungsunion erkannt. Das Paket sollte reichen, um die Attacke auf die südeuropäischen Anleihemärkte abzuwehren und die europäischen Banken vor einer neuen, akuten Krise zu bewahren.
Frage: Welche Maßnahmen sind jetzt besonders wichtig?
Ferguson: Die Kreditgarantien sind nicht entscheidend. Sie könnten durch Streit in einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland wieder infrage gestellt werden. Insofern sind wir nur einen kleinen Schritt weiter in Richtung einer fiskalpolitischen Union gekommen. Entscheidend ist, dass die Europäische Zentralbank jetzt Staatsanleihen aufkauft. Damit ist die No-Bail-out-Regel hinfällig. EZB-Chef Trichet hat kapituliert, und der Euro ist keine stärkere Währung mehr als der Dollar.
Euro-Rettungsschirm
In der schwersten Krise des Euro seit Gründung der Währungsunion zeigen die Euro-Staaten Geschlossenheit: Um den Verfall der gemeinsamen Währung zu stoppen, haben die Finanzminister der 16 Euroländer ein nie dagewesenes Auffangnetz beschlossen.
Die EU-Kommission weitet die bereits an Nicht-Euroländer (Ungarn, Lettland und Rumänien) geleisteten Hilfen kurzfristig auf Mitglieder des Währungsraums aus. Dazu wird der Topf von derzeit 50 Milliarden auf 60 Milliarden Euro aufgestockt.
Zudem schafft die Euro-Zone ein völlig neues Instrument: Eine Gesellschaft unter Aufsicht der EU-Kommission kann im Namen aller 16 Euroländer Geld am Markt leihen und den Kredit an finanzschwache Staaten weitergeben. Die Euroländer selbst treten dabei als Bürgen auf. Die Finanzminister einigten sich auf einen Finanzrahmen für diese Zweckgesellschaft von bis zu 440 Milliarden Euro. Der Rettungsschirm wird ergänzt um Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in einer Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro.
Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlage für die Zweckgesellschaft muss noch geschaffen werden, in Deutschland ist hierfür ein Gesetz notwendig. Mit dem Notfallplan setzen die Euro-Staaten das im EU-Vertrag festgeschriebene Verbot der Schuldenhaftung außer Kraft. Die Länder berufen sich als Grundlage für den neuen Mechanismus aber auf Artikel 122 des Lissabon-Vertrages.
Dieser erlaubt finanziellen Beistand „aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen”. Darunter fällt also offenbar auch die Attacke gegen den Euro, welche die Politik in den vergangenen Tagen als Schuldige der akuten Krise ausgemacht hat.
EZB
Die Europäische Zentralbank (EZB) flankiert die Vorkehrungen durch den Aufkauf von Staatsanleihen der Euroländer. Der EU-Vertrag schließt ausdrücklich aus, dass die Notenbanken direkt Staatsanleihen kaufen – die EZB kann die Papiere also nur am Sekundärmarkt erwerben. Über den Umfang der Interventionen, zu denen noch umfangreiche Stützungsmaßnahmen für den Geldmarkt und das Bankensystem kommen, entscheidet der EZB-Rat. Die Zentralbank pocht aber auf ihre Unabhängigkeit. Insbesondere wegen Inflationsrisiken hatte sich die EZB lange gegen Eingriffe dieser Art gewehrt.
Konsolidierung
Die Finanzminister vereinbarten, künftig noch strenger auf die Sanierung der Staatshaushalte zu achten. Die Verpflichtung auf einen strikten Sparkurs war vor allem von Deutschland eingefordert worden. Portugal und Spanien müssen bis zur nächsten regulären Sitzung der Finanzminister am 18. Mai in Brüssel zusätzliche Maßnahmen für 2010 und 2011 vorlegen. Zudem dringt Berlin auf rasche Entscheidungen über eine Finanzmarktregulierung.
Frage: Löst das Hilfspaket auch die strukturellen Probleme der Währungsunion?
Ferguson: Nein, es handelt sich um eine Notlösung. Das grundsätzliche Problem der Eurozone bleibt: Es gibt nach wie vor keinen Mechanismus für finanzielle Transfers zwischen den Mitgliedstaaten. Ohne neue EU-Verträge lässt sich das auch nicht machen. Und das würde sicher zu starken Protesten in den nordeuropäischen Ländern führen.
Frage: Steht der Euro also langfristig vor dem Aus?
Niall Ferguson
© © EPA/PETER FOLEY/dpa
Niall Ferguson ist Historiker an der renommierten US-Universität Harvard. Der 46-jährige Brite hat sich dabei auf Finanzgeschichte spezialisiert.
Ferguson: Griechenland wird irgendwann pleite gehen. Portugal und Spanien könnten sich anstecken. Europa kann nicht alle diese Staaten retten. Es sieht also düster aus für den Euro.
Frage: Welche historischen Parallelen sehen sie zur aktuellen Euro-Krise?
Ferguson: Die Finanzkrise ist die Geschichte übermäßiger Verschuldung. Erst bei den Haushalten, dann bei den Banken und jetzt bei den Staaten. Ich habe Anfang 2008 die großen Investmentbanken danach geordnet, wie hoch sie mit Kreditrisiken behaftet waren. Die Reihenfolge begann mit Bear Stearns und endete mit Goldman Sachs. Diese Woche habe ich eine Liste von Staaten gemacht, geordnet nach ihren Schuldenrisiken. An erster Stelle kommt Japan, gefolgt von Großbritannien, Griechenland, Spanien, Irland, den USA, Portugal. Auch hier gibt es den Ansteckungseffekt. Die Lage Großbritanniens ist in vielerlei Hinsicht nicht besser als die der südeuropäischen Länder. Jetzt soll auch noch eine Koalition ein Haushaltsdefizit von elf Prozent abbauen. Gott weiß, wie das gehen soll.
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„Der Euro wird zur weichen Währung”

Europa hat die Wahl zwischen einer instabilen Währungsunion und einem Bundesstaat, sagt Finanzhistoriker Ferguson. Im Interview fordert er eine solide Haushaltspolitik.
© JEAN-PIERRE MULLER/AFP/Getty Images
Mit dem Rettungspaket habe die EZB den Weg zu einem schwachen Euro eingeschlagen, meint Finanzhistoriker Ferguson
Frage: Herr Ferguson, reicht das Rettungspaket der EU, um den Euro zu retten?
Niall Ferguson: Europas Staatschefs sind offenbar endlich aufgewacht und haben die große Gefahr für die Währungsunion erkannt. Das Paket sollte reichen, um die Attacke auf die südeuropäischen Anleihemärkte abzuwehren und die europäischen Banken vor einer neuen, akuten Krise zu bewahren.
Frage: Welche Maßnahmen sind jetzt besonders wichtig?
Ferguson: Die Kreditgarantien sind nicht entscheidend. Sie könnten durch Streit in einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland wieder infrage gestellt werden. Insofern sind wir nur einen kleinen Schritt weiter in Richtung einer fiskalpolitischen Union gekommen. Entscheidend ist, dass die Europäische Zentralbank jetzt Staatsanleihen aufkauft. Damit ist die No-Bail-out-Regel hinfällig. EZB-Chef Trichet hat kapituliert, und der Euro ist keine stärkere Währung mehr als der Dollar.
Euro-Rettungsschirm
In der schwersten Krise des Euro seit Gründung der Währungsunion zeigen die Euro-Staaten Geschlossenheit: Um den Verfall der gemeinsamen Währung zu stoppen, haben die Finanzminister der 16 Euroländer ein nie dagewesenes Auffangnetz beschlossen.
Die EU-Kommission weitet die bereits an Nicht-Euroländer (Ungarn, Lettland und Rumänien) geleisteten Hilfen kurzfristig auf Mitglieder des Währungsraums aus. Dazu wird der Topf von derzeit 50 Milliarden auf 60 Milliarden Euro aufgestockt.
Zudem schafft die Euro-Zone ein völlig neues Instrument: Eine Gesellschaft unter Aufsicht der EU-Kommission kann im Namen aller 16 Euroländer Geld am Markt leihen und den Kredit an finanzschwache Staaten weitergeben. Die Euroländer selbst treten dabei als Bürgen auf. Die Finanzminister einigten sich auf einen Finanzrahmen für diese Zweckgesellschaft von bis zu 440 Milliarden Euro. Der Rettungsschirm wird ergänzt um Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in einer Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro.
Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlage für die Zweckgesellschaft muss noch geschaffen werden, in Deutschland ist hierfür ein Gesetz notwendig. Mit dem Notfallplan setzen die Euro-Staaten das im EU-Vertrag festgeschriebene Verbot der Schuldenhaftung außer Kraft. Die Länder berufen sich als Grundlage für den neuen Mechanismus aber auf Artikel 122 des Lissabon-Vertrages.
Dieser erlaubt finanziellen Beistand „aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen”. Darunter fällt also offenbar auch die Attacke gegen den Euro, welche die Politik in den vergangenen Tagen als Schuldige der akuten Krise ausgemacht hat.
EZB
Die Europäische Zentralbank (EZB) flankiert die Vorkehrungen durch den Aufkauf von Staatsanleihen der Euroländer. Der EU-Vertrag schließt ausdrücklich aus, dass die Notenbanken direkt Staatsanleihen kaufen – die EZB kann die Papiere also nur am Sekundärmarkt erwerben. Über den Umfang der Interventionen, zu denen noch umfangreiche Stützungsmaßnahmen für den Geldmarkt und das Bankensystem kommen, entscheidet der EZB-Rat. Die Zentralbank pocht aber auf ihre Unabhängigkeit. Insbesondere wegen Inflationsrisiken hatte sich die EZB lange gegen Eingriffe dieser Art gewehrt.
Konsolidierung
Die Finanzminister vereinbarten, künftig noch strenger auf die Sanierung der Staatshaushalte zu achten. Die Verpflichtung auf einen strikten Sparkurs war vor allem von Deutschland eingefordert worden. Portugal und Spanien müssen bis zur nächsten regulären Sitzung der Finanzminister am 18. Mai in Brüssel zusätzliche Maßnahmen für 2010 und 2011 vorlegen. Zudem dringt Berlin auf rasche Entscheidungen über eine Finanzmarktregulierung.
Frage: Löst das Hilfspaket auch die strukturellen Probleme der Währungsunion?
Ferguson: Nein, es handelt sich um eine Notlösung. Das grundsätzliche Problem der Eurozone bleibt: Es gibt nach wie vor keinen Mechanismus für finanzielle Transfers zwischen den Mitgliedstaaten. Ohne neue EU-Verträge lässt sich das auch nicht machen. Und das würde sicher zu starken Protesten in den nordeuropäischen Ländern führen.
Frage: Steht der Euro also langfristig vor dem Aus?
Niall Ferguson
© © EPA/PETER FOLEY/dpa
Niall Ferguson ist Historiker an der renommierten US-Universität Harvard. Der 46-jährige Brite hat sich dabei auf Finanzgeschichte spezialisiert.
Ferguson: Griechenland wird irgendwann pleite gehen. Portugal und Spanien könnten sich anstecken. Europa kann nicht alle diese Staaten retten. Es sieht also düster aus für den Euro.
Frage: Welche historischen Parallelen sehen sie zur aktuellen Euro-Krise?
Ferguson: Die Finanzkrise ist die Geschichte übermäßiger Verschuldung. Erst bei den Haushalten, dann bei den Banken und jetzt bei den Staaten. Ich habe Anfang 2008 die großen Investmentbanken danach geordnet, wie hoch sie mit Kreditrisiken behaftet waren. Die Reihenfolge begann mit Bear Stearns und endete mit Goldman Sachs. Diese Woche habe ich eine Liste von Staaten gemacht, geordnet nach ihren Schuldenrisiken. An erster Stelle kommt Japan, gefolgt von Großbritannien, Griechenland, Spanien, Irland, den USA, Portugal. Auch hier gibt es den Ansteckungseffekt. Die Lage Großbritanniens ist in vielerlei Hinsicht nicht besser als die der südeuropäischen Länder. Jetzt soll auch noch eine Koalition ein Haushaltsdefizit von elf Prozent abbauen. Gott weiß, wie das gehen soll.
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Postat de pe data de 13 mai, 2010 in categoria România în lume. Poti urmari comentariile acestui articol prin RSS 2.0. Acest articol a fost vizualizat de 524 ori.

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